Aktuell

Kunst und Bau

Stiftung
Wittenbach

Ist das Kunst oder kann das weg?

Nach seinem Tod 2018 hat die Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte von Bruno Stefanini rund 100’000 Sammlungsobjekte und gut 2200 Wohnungen geerbt. Kulturerbe und Liegenschaften in Beziehung setzen? Challenge accepted! Die Kunst-und-Bau-Projekte, welche die SKKG und Terresta gemeinsam realisieren, sind ein wichtiger Schritt hin zum Ziel, die Kulturstiftung und das Immobilienportfolio wirkungsvoll zu verbinden. In den «Kunst und Bau»-Projekten der Stiftung soll die Verschränkung von Immobilien und Kultur für die Mieter:innen und die Öffentlichkeit erlebbar werden. Dafür wurde im Dezember 2022 eine von Simone Müller begleitete Pilotphase mit fünf prototypischen Projekten gestartet. Diese unterscheiden sich in Bezug auf Grösse und Art des Bauvorhabens, der Bausumme, dem Budget, der Verfahrensform, der Juryzusammensetzung und der künstlerischen Umsetzung. 

Die SKKG pflegt und vermittelt eine Sammlung von Kulturgütern und unterstützt Schweizer Museen darin, mehr gesellschaftliche Partizipation in ihren Arbeitsalltag zu integrieren und in den Ausstellungen umzusetzen. Diese zwei Tätigkeiten finanziert die Stiftung durch die Erträge des Immobilienportfolios, das Bruno Stefanini seit 1946 bis zu seinem Tod 2018 aufgebaut hat. Alle Liegenschaften, darunter rund 2200 Wohnungen, 200 Gewerbeflächen und 60 unbebaute Grundstücke, werden von der Terresta nachhaltig und sozial verantwortungsvoll entwickelt und bewirtschaftet. 

Bis zu Stefaninis Tod wurden SKKG und Terresta zwar aus einer Hand geführt, hatten organisatorisch und inhaltlich aber nur wenige Berührungspunkte. Erst in den letzten vier Jahren sind die beiden Organisationen näher zusammengerückt mit dem Vorantreiben der gemeinsamen Vision «Faire Mieten – Kultur für alle: Zusammenleben neu denken.» In dieser Vision steckt die Überzeugung, dass sich Identität, Kultur und Raum gegenseitig bedingen und verschränken

Terresta bewahrt, entwickelt und vermittelt Baukultur, die SKKG pflegt das materielle Kulturerbe in der eigenen Sammlung und ist Partnerin für die Schweizer Museumslandschaft. Der Kunst soll bei Neubauten und grösseren Renovationen im Portfolio ein prominenter Platz eingeräumt werden. «Ziel ist es, der Kunst im Immobilienportfolio Sichtbarkeit zu verleihen, Kunstschaffende zu fördern und verschiedene Nutzer:innen im Sinne des Stiftungszwecks an kulturellen Werten teilhaben zu lassen» 

Beschluss des Stiftungsrats 2020

Müselet

Baufachleute von der Terresta-Baustelle an der Waldeggstrasse helfen Kindern bei der Umsetzung ihrer eigenen «Müselet-Skultpur». © Beat Schlatter

Verspielt an der Waldeggstrasse

Vor weissem Hintergrund steht eine Tierskulptur aus Draht, daneben liegt ein Korken von einem Champagner.

Visualisierung «Müselet» von Christian Gonzenbach, 2024

Auf einem bisher unbebauten Grundstück an der Waldeggstrasse in Winterthur-Seen stehen heute zwei neue Wohnhäuser mit insgesamt 32 Wohnungen – der erste Neubau der Terresta seit 50 Jahren. Für das Kunst-und-Bau-Projekt an der Waldeggstrasse wurde ein klassisches Verfahren gewählt: Auf Einladung einer Fachjury haben ausgewählte Künstler:innen Ideen für ein eigenständiges, für den Ort konzipiertes Werk eingereicht. Es soll die Identifikation der Bewohner:innen mit der neuen Siedlung fördern. 

Siegerprojekt ist das «Müselet» von Christian Gonzenbach, eine 7 Meter hohe Skulptur aus gebogenem Stahlrohr in der Form eines hundertfach vergrösserten, aus dem Drahtkorb eines Schaumweins gefertigten Tieres. Die Jury überzeugte «das Verspielte, das Lustvolle – die aus dem Moment heraus generierte Weiterverwertung eines Schaumweinverschlusses. Diese Geste verweist auf einen wichtigen Aspekt der Kunst – auf die Möglichkeit, aus dem Nichts eine magische, überraschende Erzählung zu erfinden.» Die lokale Bevölkerung – allen voran der Kindergarten vis-a-vis des Neubaus – war in den Entstehungsprozess eingebunden.

Selbst Hand anlegen in Wittenbach

Normalerweise entfernen die Mitarbeiter:innen des Gebäudeservices von Terresta Graffitis von den Wänden so schnell wie möglich. In diesem Fall aber haben sie die gut 8 mal 12,3 Meter grosse Wandmalerei selbst ausgesucht – und ihre Kolleg:innen aus der Malerabteilung gebeten, das Werk umzusetzen. Für die Fassadengestaltung eines Wohn- und Gewerbehauses in Wittenbach im Zuge einer Renovation wählte diese Laienjury, bestehend aus Mitarbeiter:innen des Gebäudeservice, das Projekt von Jessica Russ aus. 

Der Vorschlag der Künstlerin überzeugte die Handwerker:innen mit der als zeitgemäss empfundenen künstlerischen Bildsprache und der Farbigkeit, mit der das Werk von der Kantonsstrasse aus gut sichtbar ist. Das interne Projekt stärkte den Zusammenhalt zwischen den Abteilungen innerhalb der SKKG und von Terresta und trug zum besseren gegenseitigen Verständnis und einer grösseren Wertschätzung für die unterschiedlichen Arbeiten innerhalb der Kulturstiftung und der Immobilienverwaltung bei.

Wittenbach
Künstlerin Jessica Russ bespricht die Farbpalette mit Jorge Martinez, Leiter Maler Terresta.

Künstlerin Jessica Russ bespricht die Farbpalette mit Jorge Martinez, Leiter Maler Terresta. © Nelly Rodriguez

Wittenbach Drohnenaufnahme

© Nelly Rodriguez

Wittenbach

«Open House» von Jessica Russ, 2024 © Nelly Rodriguez

Sammlung und Wohnen treten in Dialog

Steinberggasse

«Chumm doch ine» von Claudia Kübler, 2024 © Goran Potkonjak

Es ist ein geschichtsträchtiges Haus in der Winterthurer Altstadt: Über viele Jahre waren das Privatbüro von Bruno Stefanini und ein Teil der Sammlung an der Steinberggasse 52 gelagert. In einer umfassenden Sanierung 2023 und 2024 sind im Erdgeschoss Gewerbe- und Gastroflächen entstanden, zudem 15 Mietwohnungen inklusive einer Clusterwohnung im Dachgeschoss. Ein internes Projektteam um Simone Müller hat ausgewählte Kunstschaffende damit beauftragt, eine Projektidee auszuarbeiten anhand konkreter Objekte aus der Sammlung der SKKG. Die Arbeit sollte eine Form von immateriellem Kulturerbe schaffen, das untrennbar mit der Sammlung und dem Gebäude selbst verbunden ist. 

Die Wahl der Jury, bestehend aus Mitgliedern der Geschäftsleitung von SKKG und Terresta sowie der Leiterin des Gewerbemuseums Winterthur, Susanna Kumschik, fiel auf das Projekt mit dem Titel «Chumm doch ine» von Claudia Kübler. Ihre Idee: Die Bewohner:innen der Steinberggasse 52 bestimmen jährlich, zu welchem Thema sie Objekte aus der Sammlung der SKKG in Setzkästen im Haus haben möchten. Die Mieter:innen dürfen und sollen auch private Objekte im Setzkasten platzieren, die in einen Dialog untereinander und mit den Sammlungsgegenständen treten. Im Briefkasten des Hausgeists können Nachrichten hinterlassen werden und nachts tasten mehrere Scheinwerfer die Wände des Treppenhauses ab. Sie vierschwinden, sobald jemand das Licht anmacht.

Wettbewerb Bühlhof

Die Jury ist selbst Teil des Wettbewerbs

Für die Jurierung des Kunst und Bau Wettbewerbs für den kleinen Park, der zwei Mehrfamilienhäuser an der Zypressenstrasse in Winterthur Wülflingen umgibt, mussten sich die Juror:innen zuerst selbst qualifizieren. Zeitgleich mit der Ausschreibung für Projektideen wurden in einem offenen Verfahren Kunstschaffende, Kurator:innen und Kunsthistoriker:innen mit Expertise in Kunst-und-Bau aufgefordert, sich für die Jury zu bewerben. Durch den Open Call für den Einsitz in die Jury konnten SKKG und Terresta ihr Netzwerk im Umfeld Kunst-und-Bau ausweiten. Das Kunstwerk soll den Aussenraum bereichern und – genauso wie das Bauvorhaben selbst – grossen Wert auf das Thema ökologische Nachhaltigkeit legen. 

«Die Auftraggeberin geht davon aus, dass die Kunstwelt die Möglichkeit hat, zu mehr Bewusstsein im Umgang mit natürlichen Ressourcen beizutragen», hiess es in der Ausschreibung, die sich an Kunstschaffende mit einem Leistungsausweis in den Themenfeldern Nachhaltigkeit, Recycling, Kreislaufwirtschaft und Klimaneutralität richtete. Zur Umsetzung empfahl die Jury das Projekt von Ester Alemayehu Hatle – fünf Skulpturen, die den Grundrissen der heute noch bestehenden Gebäude an der Zypressenstrasse folgen. Im übertragenen Sinne bilden die Skulpturen so eine Schnittstelle zwischen Alt und Neu, zwischen Erbe und Zukunft. Die Skulpturen sind als künstlerische Interventionen gedacht, die zu Interaktion und Spiel ermuntern. Sie werden aus Hanf geformt und mit Kalk, Seife und Wachs weiter gestaltet. In allen Skulpturen gibt es Löcher, die Bienen und anderen Insekten als Lebensräume dienen werden.

Hatle

Visualisierung Ester Alemayehu Hatle, Projekt für die Zypressenstrasse Winterthur

Wettbewerb Zyressenstrasse

Das ist Kunst – und die bleibt erhalten

Die Arbeit der SKKG – der Erhalt, die Pflege und die Vermittlung von Kulturerbe – finanziert sich aus den Mieteinnahmen. Die Kunstwerke, die aus den Kunst-und-Bau-Projekten entstehen, zeigen sichtbar auf, wie eine Verbindung von Stiftungszweck und Stiftungsfinanzierung möglich ist. Und Wirkung zeigt. Es entsteht hier Kunst, die sich in den gebauten Lebensalltag von Bewohner:innen einfügt und von den Mitarbeiter:innen der Hausverwaltung sorgfältig gepflegt wird. So bieten diese künstlerischen Interventionen einen niederschwelligen Zugang zu Themen und Fragestellungen, die mit der Auseinandersetzung mit Kulturerbe angestossen werden. Wer sind wir als Gesellschaft und was wollen wir bewirken? 

Für welche Werte stehen wir ein und wie können wir unser Zusammenleben gemeinsam gestalten? Kunstwerke in den Liegenschaften von SKKG und Terresta wirken im besten Fall identitätsstiftend für die Gemeinschaft der Bewohner:innen und stärken deren Gemeinsinn und Zusammenhalt. In jedem Fall erregen sie Aufmerksamkeit und regen zu Diskussionen an – darüber, wo Kunst aufhört und Leben anfängt, oder wie das Leben zur Kunst wird.