Sammlung
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Licht ins Dunkel

Die SKKG will ihre Sammlung an einem Ort zusammenführen und durchleuchtet sämtliche Bestände. Auch jene in den Kellergeschossen von Schloss Brestenberg. Und stösst auf Explosives. Ein Stück Aufarbeitung.

Was bringt die Zukunft von Schloss Brestenberg?
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©  Urs Augsburger

2030 ziehen SKKG und Terresta in den CAMPO in Oberwinterthur. Am neuen Standort soll die Sammlung in einem zentralen Depot zusammengeführt werden. Über 100'000 Objekte lagern aktuell an mehreren Standorten. Die Absicht der SKKG: Die Sammlung mit all ihren Altlasten transparent aufarbeiten. «Das ist Teil der Verantwortung, die wir wahrnehmen, und Teil der Geschichte, die wir verstehen wollen», umreisst Severin Rüegg, Leiter Sammlung, die Haltung. Das hält einige Herausforderungen bereit: Neben inhaltlichen Fragen wie Provenienz, postkolonialen Themen und weiteren sensiblen Objekten sind die Restaurator:innen mit materiellen Herausforderungen wie Schimmel, Quecksilber, Opiate und Sprengstoff konfrontiert.

Eines der Sammlungslager befindet sich auf Schloss Brestenberg. Genauer: in den gigantischen Kellergeschossen mit einer Gesamtfläche von über 14'000 m2. Stifter und Sammler Bruno Stefanini plante auf Schloss Brestenberg ein Museum. Neben zwei Etagen Kunst sollte das unterste Geschoss den beiden Weltkriegen und der Wehrhaftigkeit der Schweiz gewidmet sein. Bestückt mit Exponaten aus den Schützengräben von zwei Weltkriegen und einer kompletten Ausstellung der Diamantfeier – einer Ausstellung, mit der die Schweizer Armee 1989 landauf landab das fünfzigste Jubiläum der Mobilmachung im Zweiten Weltkrieg beging. So die Vision. Doch es kam anders. Schloss Brestenberg wurde zwar mit Wänden in Bunkerstärke unterkellert, zum Museum wurde es nie. 1993 wurden die Bauarbeiten gestoppt. Seither ist die Zukunft von Schloss Brestenberg blockiert nach Auseinandersetzungen zwischen privater Investition, Politik und diversen Anspruchsgruppen.

Brixe

© Bruno Augsburger

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© Bruno Augsburger

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© Bruno Augsburger

Gefährlich oder nicht?

In den ersten Wochen nach seinem Antritt als Leiter Sammlung besuchte Severin Rüegg die Lagerorte der Sammlung. Mitte April 2020 auch Schloss Brestenberg. Beim Rundgang durch die Kavernen im Rohbau war die Faszination des Stifters für die Abgründe des 20. Jahrhunderts unübersehbar: «Das Spektrum reichte von Pistolen und Maschinengewehren über Granaten und Fliegerbomben bis zu Kanonen und einem Panzer», sagt Severin Rüegg. 

Vieles davon Zeitzeugen aus dem Schützengraben, verrostet und teilweise krummgebombt. Seit über 30 Jahren sind die Objekte eingelagert. Als Sammlerobjekte sind Waffen und leere Geschosshüllen legal, sofern sie keinen Sprengstoff oder Zündungsmechanismen enthalten. «Inert» lautet der Fachbegriff dafür. Und der muss als Gravur oder Stempel auf der Geschosshülle sichtbar sein.

Manche Objekte muss man aushalten

«Zuerst habe ich leer geschluckt. Aber was macht man in der Schweiz, wenn man Munition findet?», fragt Severin Rüegg. «Wir haben die Blindgängermeldezentrale angerufen. Deren Einschätzung: Es besteht keine unmittelbare Gefahr. Denn seit über 30 Jahren sind die Objekte unterirdisch eingelagert und nicht zugänglich, da weggeschlossen und zudem alarmgesichert. Aber Handlungsbedarf besteht. 

«Bei Sprengstoff erschrickt man natürlich zunächst. Aber eine Sammlung, die sich mit Hochkultur wie auch mit menschlichen Abgründen beschäftigt, weist natürlich auch problematische Objekte auf», sagt Severin Rüegg. Gerade diese Objekte erzählen spannende Geschichten. Statt sie zu bereinigen oder ihre Spuren zu verwischen, geht es darum, sie auszuhalten. Der Anruf bei den Sprengstoffspezialisten löst eine Kaskade von Abklärungen aus. Währenddessen schlummert das Material weiter unter Schloss Brestenberg.

«Die Sammlung mit all ihren Altlasten transparent aufarbeiten – das ist Teil der Verantwortung, die wir wahrnehmen, und Teil der Geschichte, die wir verstehen wollen.»

Severin Rüegg, Leiter Sammlung

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© Bruno Augsburger

Grosses Erstaunen bei der Inspektion

Was im November 2020 folgt, ist Routine – und doch nicht. Ein Team aus Kantonspolizei Aargau, Kampfmittelbeseitigung der Schweizer Armee und vom forensischen Institut Zürich inspiziert die Objekte. Das Vorgehen ist alltäglich. Die Dimensionen sorgen für Erstaunen. Urs Leuthard, Einsatzleiter der Kantonspolizei Aargau, ist oft an den Baukränen bei Schloss Brestenberg vorbeigefahren, doch eine Kaverne von solchem Ausmass hatte er nicht erwartet: «So etwas habe ich noch nie erlebt. Weder von den Räumlichkeiten noch vom Material her.» 

Auch Martin Barmettler, Spezialist für Kampfmittelbeseitigung bei der Schweizer Armee, war überrascht: «Im ersten Moment war es überwältigend. Von aussen erwartet man diese riesigen unfertigen Hallen nicht. Das war wie in einer anderen Welt. Diese Kellergeschosse mit den unterschiedlichsten Objekten, das war extrem spannend.»

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© Bruno Augsburger

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© Bruno Augsburger

Ende auf dem Panzerschiessplatz

Die Inspektion bestätigt die Einschätzung. Das Material ist ungefährlich eingelagert. Trotzdem muss jedes Objekt einzeln durchleuchtet werden. Mit einem fahrbaren Röntgengerät und weiteren Spezialinstrumenten untersuchen im April 2021 Kampfmittelbeseitungsspezialisten alle fraglichen Objekte. Nach drei Tagen das Ergebnis: 28 Objekte mit Sprengstoffrückständen, Zündern, die nicht entfernbar sind oder verklemmten Patronen, die wegen Korrosion nicht entladen werden können. 

Am 13. November 2021 finden die diversen Granaten und rostzerfressenen Überreste von Panzerfaust-Abschussrohren, Karabinern, einer Pistole und eines Maschinengewehrs auf einer Euro-Palette Platz und werden per Lastwagen auf einen Panzerschiessplatz in einem Hinterrheiner Seitental verfrachtet. Dort endet ihre Reise.

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© Bruno Augsburger

Eine neue Sicht auf problematische Objekte

Mit Plastiksprengstoff versehen werden die Objekte gesprengt. Ein dumpfer Knall, schwarzer Rauch. Zurück bleiben Einzelteile und Stahlsplitter im russgeschwärzten Schnee. Auf Schloss Brestenberg werden die übrigen untersuchten Objekte mit einer Inert-Gravur als gefahrlos markiert. «Für Ausstellungszwecke nimmt es den Objekten etwas den Charme von Originalen aus dem Schützengraben», ordnet Severin Rüegg ein und ergänzt: «Vielleicht mag man sich über den Wert solcher Objekte wundern. 

Aber zeigt ein Bodenfund von einem Schlachtfeld, der nachträglich untersucht und gekennzeichnet werden musste, nicht besser das Wesen einer Waffe als ein poliertes Stück Stahl direkt aus der Fabrikhalle? Weniger Wehrtechnik vielleicht, aber mehr Kriegsrealität?» Eine neue Sicht auf problematische Objekte und Aspekte unserer Geschichte zu entwickeln: Dieser kritische Umgang ist ein wesentlicher Teil der Pflege von Kulturerbe.